Für Überweiser

Liebe Kolleginnen und Kollegen

Aus zwei Gründen ist dieses Kapitel entstanden:

  1. Als Kieferorthopäde wird man oft gefragt: „Wann soll ich Dir den Patienten schicken?“
  2. Bei mir (Dr. med. dent. René Kubala) entstand nach über 25 Jahren kieferorthopädischer Aktivität das Bedürfnis, die im Folgenden besprochenen Themen den interessierten Kollegen aus meiner Sicht zu präsentieren.

Bestimmt wurde das meiste, was ich hier sage, bereits irgendwo auf bessere Weise geschrieben. Es steht hier aber auch das Eine oder das Andere, woran ich mich aus meiner „Schulzeit“ nicht mehr erinnere, und ich hätte Mühe entsprechendes in der Literatur zu finden – Vielleicht ergeht es manchen Kolleginnen und Kollegen ähnlich.

Liebe Kolleginnen und Kollegen

Aus Datenschutzgründen können Sie von dieser Seite keine Patientendaten direkt über das Netz schicken. Sie können aber gerne das untenstehende Formular ausfüllen. Sie brauchen es nicht vollständig auszufüllen. Die Angabe Ihres Namens, sowie der Name und die Telefonnummer des Patienten sind ausreichend.

Die überwiesenen Patient/-innen werden baldmöglichst kontaktiert. Sie erhalten danach eine Bestätigung und Verdankung, dass der Patient aufgeboten worden ist.

Das Timing der Überweisung
Selbstverständlich können Sie uns die Patienten immer zuweisen, wenn Sie nicht ganz sicher sind, wann der beste Zeitpunkt dafür ist. Unten sind einige Anhaltspunkte zusammengestellt, die Ihnen als Entscheidungshilfe dienen sollen, wenn Sie den Zeitpunkt optimieren wollen. Bei Erwachsenen ist eher die Motivationslage entscheidend. Ohne Behandlungsbereitschaft (= Bereitschaft, eine Apparatur zu tragen und zu finanzieren) wird eine den Zahnarzt noch so sehr störende Abweichung unkorrigiert bleiben. Die Aufwand/Ertrag-Relation ist von Fall zu Fall verschieden und muss individuell besprochen werden.

Kieferorthopädische Notfälle
Bei Zahnintrusionen mit geschlossenem Apex stellt die orthodontische Extrusion nach Lockerung die Behandlung der Wahl dar. (Andreasen)Retinierte Zähne mit Resorbtionen der Nachbarwurzeln.

vorher

nachher

Nach Einreihung der Eckzähne tragen die Zähne 2+2 die Resorbtionsspuren.

Unkontrollierte Apparaturen
Beispielsweise konfektionierte Drähte von hoher Aktivität, wie Reverse-curve-NiTi, können unkontrolliert die Zähne aus dem Knochen hinausbewegen.

Durchbruchsstörungen
Patienten mit retinierten Zähnen sollen dem Kieferorthopäden überwiesen werden. Verzögerungen von Wochen spielen keine Rolle. Mehrere Monate oder Jahre schon. Letzteres ist keine Rarität

vorher

Welche Störung soll früh behandelt werden?
Funktionelle Probleme der Weichteile und der Okklusion sollen so früh überwiesen werden, wie es die Kooperationsbereitschaft des Kindes zulässt, also ca. ab dem 5. bis 6. Altersjahr.

vorher

Der lutschbedingte offene Biss
Spätestens ab dem 4. Altersjahr soll das Lutschen aufhören. Der erste Behandlungsschritt besteht aus der Elimination der schlechten Gewohnheit. (Wir alle wissen, dass es nicht einfach ist.) Bei Persistenz des offenen Bisses sollte das Kind dem Kieferorthopäden überwiesen werden.vorher

Der offene Biss mit Zungeninterposition
Für diesen Zustand der positiven Rückkopplung gilt das oben genannte Überweisungskriterium.

vorher

Zwischenstand nach 3 Jahren Wachstumsbeeinflussung

Die Mundatmung
Durch behinderte Nasenatmung ist man zur Mundatmung gezwungen. Das Kräftegleichgewicht des oro-fazialen Systems ist in dem Sinne gestört, dass zu viel Vertikalentwicklung im Viszerokranium stattfindet. Gleichzeitig gibt es zu wenig Breitenentwicklung im Oberkiefer. Die Nasenatmung soll also baldmöglichst erleichtert werden. Hier sind deshalb auch der Kinder- und der ORL-Arzt beizuziehen. Für die Kieferorthopädie gilt das oben gesagte.

Der funktionelle Kreuzbiss seitlich
Für die forcierte Dehnung des Oberkiefers ist es wünschenswert, dass die Zähne V+V noch fest sind. Je nach Kooperationsbereitschaft kann mit der Überweisung bis zum 9. Altersjahr gewartet werden. Eine frühere Überweisung schadet nicht.

Der funktionelle Kreuzbiss vorne
Diese Fehlstellung sollte behandelt werden, sobald es die Kooperationsbereitschaft zulässt.

Die Klasse II oder die relative Rücklage des Unterkiefers
Das Wachstumspotential soll ausgenutzt werden. Deshalb sollte der Kieferorthopäde unbedingt vor dem pubertären Wachstumsspurt aufgesucht werden.

vorher

nachher

Hier wurde Wachstum von der Natur zur Verfügung gestellt und es konnte genutzt werden.

Die Kooperation
Pubertierende Jugendliche arbeiten manchmal ausgezeichnet mit, oft aber sehr schlecht. 9 bis 11-jährige sind sehr oft exzellente Mitarbeiter. Deshalb soll mit der Überweisung nicht bis unmittelbar vor dem pubertären Wachstumsspurt gewartet werden.

vorher

nachher

Die Unterlippeninterposition

Wie oben erwähnt, ist bei funktionellen Problemen eine frühe Überweisung und Behandlung wünschenswert. Also frühestens ca. ab dem 6. Altersjahr. Mit 8 bis 10 Jahren ist es nicht zu spät, doch nimmt der Frontzahnabstand durch die Unterlippeninterposition zu. Das erhöhte Traumarisiko der exponierten Oberkieferfront ist ein Grund mehr, den Mundschluss früh zu normalisieren.

vorher

Der Unterkieferengstand und die Klasse II
Es ist schwierig, eine Klasse II nach Extraktionen im Unterkiefer in eine stabile Klasse I zu überführen. Wir sind deshalb froh, wenn bei Klasse II im Unterkiefer nicht extrahiert werden muss. Platzverlust im Unterkiefer soll deshalb ganz besonders bei Klasse II vermieden werden. Bei einem Unterbruch der Bogenkontinuität im Unterkiefer ist eine Intervention angezeigt. Der Zahnwechsel in der Stützzone soll bei Frontzahnengstand nicht tatenlos abgewartet werden, wenn am Schluss der Gebissentwicklung gerade Zähne gefordert sind. Der Kieferorthopäde soll entscheiden, ob der physiologische Platzverlust während der Abtauschvorgänge in Kauf genommen werden kann. Schwierige Erwachsenenbehandlungen resultieren aus dem Kontinuitätsverlust im Unterkiefer!

vorher

Das hätte bei den oben gezeigten Erwachsenen in der Kindheit hergestellt werden sollen.

vorher

nachher

Der Engstand und der Platzmangel
Die intermaxilläre Relation. Wie bei der Klasse II erwähnt ist der Engstand je nach Verzahnung und Kieferrelation verschieden zu werten. (siehe oben)

Die Unterbrüche im Zahnbogen
Bei länger dauernden Unterbrüchen der Zahnbögen ist mit zunehmendem Platzverlust zu rechnen. Ein Nichteingreifen kann bedeuten, dass man die Entwicklung in Richtung Extraktionen bleibender Zähne steuert. Handelt es sich dabei um den Unterkiefer, bedeutet das in der Regel die Extraktion von 4 Prämolaren (OK/UK, links/rechts) und eine Behandlung mittels vollfixer Apparatur. Mit Unterbrüchen im Zahnbogen sind nicht die physiologischen Lücken während des Zahnwechsels gemeint.

Der Engstand ohne Lücken
Wenn sonst kein Problem besteht, sollte spätestens vor dem Zahnwechsel in der Stützzone überwiesen werden, wenn prospektiv gerade Zähne gewünscht werden, damit dem Kieferorthopäden mehr „non-Ex-Spielraum“ zur Verfügung steht, wie es nach dem Zahnwechsel der Fall wäre.

Der massive Engstand bei guter intermaxillärer Relation
Wenn klar ist, dass extrahiert werden muss, kann bei guter Verzahnung beliebig lang (bis ins Erwachsenenalter) mit der Behandlung gewartet werden.

CAVE
Extraktionen oder Retentionen einzelner Zähne im Unterkiefer Beides führt oft zu äußerst ungünstigen Situationen beim Erwachsenen, aus welchen schwierige und sehr aufwendige Erwachsenenbehandlungen resultieren.

Beispiel 1: So lieber nicht

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nachher

Beispiel 2: So lieber nicht

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Beispiel 3: Lieber so

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nachher

Beispiel 4: Lieber so

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nachher

Nichtanlagen – fehlende Zähne
Die Nichtanlage muss im Zusammenhang mit der gesamten Gebisssituation beurteilt werden. Wenn keine Gründe für eine frühere Überweisung sprechen, so ist  bei ca. 9 bis 10-jährigen eine Beurteilung durch den Kieferorthopäden sinnvoll.

Ankylosierte Milchzähne
Ankylosierte Milchzähne mit oder ohne Nachfolger müssen entfernt werden, sobald Deformationen des Alveolarfortsatzes entstehen würden. Selbstverständlich sind nach der Extraktion haltende Massnahmen vorzunehmen.

Die Transplantation des Zahnkeims
Nicht an jeder Stelle des Gebisses ist der Lückenschluss gleich willkommen oder gleich problematisch. Deshalb sind Transplantationen oft hilfreich. Die optimale Zeit ist da, wenn die Wurzellänge 50% bis 66% erreicht hat. Diese Massnahme ist in den Rahmen eines Gesamtbehandlungskonzeptes einzugliedern.

vorher

nacher

Insgesamt fehlen 4 Prämolaren, davon 2 nebeneinander. Der Zahn 5- wurde von rechts nach links transplantiert. In jedem Quadrant wurde eine Prämolarenlücke geschlossen.

Ja, die Gingivitis stört auch den Behandler!

Einige Konzepte der Klasse-II-Behandlung:

Durch konsequente Wachstumsbeeinflussung wird der Rückstand des Unterkiefers ausgeglichen.

vorher

nachher

Durch Lückenschluss im Oberkiefer werden die oberen Frontzähne nach hinten, näher zu den unteren Frontzähnen, gebracht. (Dadurch wird eine Rücklage der unteren Bezahnung zu einem variablen Teil kompensiert. Der Kompensationsgrad hängt von der Verschiebung der Blöcke während des Lückenschlusses ab. Im Bereich der oberen Weisheitszähne wird der Engstand entschärft.)

vorher

nachher

Durch einseitigen Lückenschluss können Asymmetrien kompensiert werden.

vorher

nachher

Zu den Tonsillen an die Kollegen von der ORL und an die Kinderärzte

Wir wissen, dass die Tonsillen bei den Kindern physiologischerweise vergrößert sind und bei Wachstumsabschluss wieder kleiner werden. Wenn aber während des gesamten Wachstums der Kiefer die physiologische Funktion der Weichteile und der Kiefer (Zungenlage, Lippenschluss, Wangendruck und antagonistische Zahnkontakte) wegen zu grosser Mandeln gestört wird, so werden Fehlentwicklungen gefördert, die nach Wachstumsabschluss manchmal nur noch kieferchirurgisch korrigiert werden können.

Bei der Beurteilung der Kinder bezüglich Indikation der Adeno- und Tonsillektomie sollte also der Einfluss einer allfälligen Dysfunktion auf die Entwicklung des Viscerokraniums mitberücksichtigt werden.

Warum retinieren?

Leider bewirken Zahn- und Kieferbewegungen einen Rückfalldruck. Es ist sehr schwer, diesen genau zu analysieren und abzuschätzen. Die Zähne bleiben dort stehen, wo die Summe aller äusseren Kräfte* auf den Zahn plus seine eigene Bewegungstendenz** Null ergibt. Wir wollen erreichen, dass die Zähne gerade bleiben und dass die Bisslage erhalten bleibt.

*Lippen-, Wangen-, Zungen- und Kaukräfte, aber auch apparative Kräfte.
**Durchbruchs-, bzw Elongationstendenz, Kipp-und Wandertendenzen verursacht durch den parodontalen Faserapparat.

Wie lange retinieren?

Niemand kann mit Sicherheit voraussagen, ob sich die Zähne langfristig verschieben werden, wenn man sie loslässt. Für eine Prognose ist mindestens die Kenntnis des Zustandes vor der Behandlung notwendig. Die Zahnstellung der Eltern kann Hinweise geben. Bei optimaler Frontzahnrelation kann angenommen werden, dass die oberen Frontzähne durch die untere Reihe gestützt werden.

Der Bogen der unteren Frontzähne sollte bei entsprechenden Ansprüchen gestützt bleiben, das heisst, der Retainer ist zu belassen. Die Mundhygiene muss so gut sein, dass die Retainer belassen werden können.

MERKE! Eine in der Luft stehende Oberkieferfront wird nie stabil bleiben.

Liebe Dentalhygienikerin und lieber Dentalhygieniker

Wir wissen, dass Ihre Arbeit durch die Retainer schwieriger wird. Ich bitte Sie, sich nicht von den Belägen und von deren spezieller Entfernung um die Retainer zu distanzieren. Es ist nicht sinnvoll, dass unsere Kunden in mehreren Praxen zur DH gehen müssen. Entfernen Sie bitte keine Retainer ohne reichliche Überlegung. Über diese Massnahme muss der Patient mit dem Zahnarzt zusammen entscheiden. Prüfen Sie bitte die Retainer auf Frakturen des Drahtes, des Komposits, auf gelöste Klebestellen und auf Verbiegungen. Danke für Ihre Unterstützung.